Pressemeldung

Sachsens Ärzte und Apotheker sehen keine Vorteile einer industriellen Zweit- und Neuverblisterung für die Arzneimittelversorgung

5. Oktober 2015

Gemeinsame Pressemitteilung
der Sächsischen Landesärztekammer, der Sächsischen Landesapothekerkammer, der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen und des Sächsischen Apothekerverbandes e. V.

(Dresden/Leipzig) Immer wieder wird bundesweit die Zweit- und Neuverblisterung von Arzneimitteln bei der Heimversorgung, aber auch zur Versorgung chronisch kranker Patienten, als Lösungsansatz propagiert. Die sächsischen Ärzte und Apotheker haben diese Versorgungsform insbesondere vor dem Hintergrund der gegenwärtig laufenden Arzneimittelinitiative Sachsen – Thüringen (ARMIN) einer Bewertung unterzogen und die Ergebnisse in einem gemeinsamen Positionspapier verankert.

Valide und objektive Daten, ob und inwieweit die Zweit- und Neuverblisterung von Arzneimitteln die Arzneimitteltherapiesicherheit tatsächlich verbessert oder die Gesamtkosten der Arzneimitteltherapie reduziert, liegen für den Freistaat Sachsen nicht, aber auch bundesweit kaum vor. Studien aus Deutschland beschränken sich auf die Heimversorgung und postulieren ausschließlich pauschale Einspareffekte durch Verblisterung in den Bereichen Arzneimittelausgaben und Personaleinsatz. Verblistern meint das individuelle Einzelverpacken von Tabletten beispielsweise in speziell auf den Patienten abgestimmten Wochen-Packungen.

Auch wenn in der novellierten Apothekenbetriebsordnung und im Arzneimittelgesetz rechtliche Rahmenbedingungen für eine ordnungsgemäße Durchführung der Zweit- und Neuverblisterung von Arzneimitteln definiert wurden, kann diese Versorgungsform nach dem Positionspapier höchstens in Einzelfällen sinnvoll sein. Eine zielgerichtete Arzneimittelversorgung muss sich immer am einzelnen Patienten und der individuellen Therapie des Arztes orientieren, standardisierte Arzneimittelanwendungen sind weder ärztlich gewollt noch pharmazeutisch sinnvoll.

„Für den gesamten Behandlungsprozess eines Patienten ist es von großer Bedeutung, dass der behandelnde Arzt die Therapiehoheit und die Therapiefolge jederzeit in der Hand hat. Die Möglichkeit einer notwendigen und kurzfristigen Therapieumstellung ist bei einer Verblisterung jedoch nicht  gegeben. Es käme zu einer Therapieverzögerung, welche bei einigen Erkrankungen schwerwiegende Folgen für den Patienten nach sich ziehen könnte. Eine Verbesserung der Compliance wird ebenfalls nicht erreicht. Zur Sicherung der medizinischen Versorgungsqualität und zum Schutz des Patienten muss die Verantwortung für die Arzneimitteltherapie in den Händen des Arztes bleiben, da er die Letztverantwortung für den gesamten Behandlungsprozess trägt“, sagt Erik Bodendieck, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer.

„Viele Arzneiformen wie Säfte und Zäpfchen, aber auch Salben oder Schmerzpflaster, eignen sich überhaupt nicht für eine Verblisterung. Es besteht die Gefahr, dass solche Darreichungsformen zugunsten verblisterter Arzneimittel ersetzt werden und damit für die Versorgung von Heimpatienten und älteren Patienten nur noch eingeschränkt zur Verfügung stehen“, so Thomas Dittrich, Vorsitzender des Sächsischen Apothekerverbandes e. V. „Aber selbst, wenn eine Therapie ausschließlich über feste Arzneiformen möglich wäre, müssten dafür immer die therapeutisch passenden Wirkstärken verfügbar sein. Häufig werden jedoch vom Arzt auch halbe Tabletten verordnet. Weil es aber keine gesicherten Informationen über die Stabilität geteilter Arzneiformen in einem Blister gibt, dürfen Tabletten erst kurz vor der Anwendung geteilt werden. Der Rest muss entsorgt werden, das wird teuer“, warnt der Apotheker.

Auch hinsichtlich der Identifizierung von Arzneimitteln warnen vor allem die Apotheker vor Sicherheitslücken. „Insbesondere, wenn die Blister industriell hergestellt werden, kann die abgebende Apotheke wichtige Sicherheitsmerkmale auf den Originalpackungen nicht mehr wirklich kontrollieren“, gibt Friedemann Schmidt, Präsident der Sächsischen Landesapothekerkammer, zu bedenken. „Patienten oder Heimpersonal haben keine Möglichkeit, die Herkunft der Medikation über die Originalverpackungen der Arzneimittel nachzuvollziehen, Fehler können kaum erkannt werden.“ Aus der Sicht von Schmidt schafft die Zweit- und Neuverblisterung auch noch andere Qualitätsprobleme: „Uns liegen derzeit kaum sichere Informationen dazu vor, wie stabil die Blistermaterialien sind und wie sich gemeinsam verblisterte Arzneimittel gegenseitig beeinflussen.“

Es ist unbestritten, dass die Zweit- und Neuverblisterung von Arzneimitteln in der Heimversorgung das Heimpersonal entlastet und damit einen Einspareffekt erbringt, allerdings werden dadurch Patienten und Heimpersonal hinsichtlich der Arzneimittelanwendung quasi entmündigt. „Die Zweit- und Neuverblisterung birgt - wie alle Tätigkeitsverlagerungen im Sinne eines Outsourcings - die Gefahr in sich, dass das Know-how des Umgangs mit Arzneimitteln bei den bislang Verantwortlichen verloren geht. Gerade bei Heimpatienten, die naturgemäß alters- bzw. krankheitsbedingt in einem gesteigerten Maße von der Kompetenz der sie unmittelbar versorgenden Personen, also dem Heimpersonal, abhängig sind, ist die Schaffung einer Mittelbarkeit durch Zweit- und Neuverblisterung kontraproduktiv.“, erklärt Klaus Heckemann, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen. Kritisch hinterfragt werden muss auch, ob der isolierte Einspareffekt im Heim durch die zusätzlich notwendigen ärztlichen und pharmazeutischen Aufwendungen aufgewogen werden kann.

Vor diesem Hintergrund können die Ärzte und Apotheker des Freistaates Sachsen die Zweit- und Neuverblisterung von Arzneimitteln gegenwärtig weder aus ärztlicher und pharmazeutischer noch aus wirtschaftlicher Sicht empfehlen. Es existieren keine Instrumente, mit denen durch die Zweit- und Neuverblisterung von Arzneimitteln die Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker verbessert oder befördert wird. Die Zweit- und Neuverblisterung von Arzneimitteln erbringt insgesamt keine Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen. Dagegen kann das Medikationsmanagement, zentrales Element der Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN), uneingeschränkt und patientenindividuell auch ohne Verblisterung in der gemeinsamen Verantwortung von Arzt und Apotheker umgesetzt werden.

Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an:

Knut Köhler, Sächsische Landesärztekammer, Tel.: 0351/8267-160, E-Mail: presse@slaek.de
Claudia Stumpe, Kassenärztliche Vereinigung Sachsen, Tel.: 0351/8290-633, E-Mail: claudia.stumpe@kvsachsen.de
Solveig Wolf, Sächsische Landesapothekerkammer, Tel.: 0351/263 93-214, E-Mail: s.wolf@slak.de
Katrin Tominski, Sächsischer Apothekerverband e. V., Tel.: 0341/33 65 20, E-Mail: tominski@sav-net.de